Krieg ohne rote Linien

Trauerumzug mit Särgen in iranischen Flaggen, auf ihnen liegen Rosenblätter
Trauer um Mitglieder der Revolutionsgarden in Qom, Iran, 16. Juni 2025. (Foto: Picture Alliance / Anadolu | Stringer)

Sowohl Israel als auch Iran handeln gefährlich fundamentalistisch, warnt Behrooz Bayat. Der langjährige Mitarbeiter der Internationalen Atomenergiebehörde erklärt, wie nah Teheran wirklich an der Atombombe ist – und was hinter dem israelischen Angriff steckt.

Interview von Yasmin Khalifa

Qantara: Israel hat kürzlich iranische Atomanlagen bombardiert – als Reaktion auf die Urananreicherung, die seit Jahren international kritisiert wird. Wie ernst ist die Bedrohung wirklich? Steht der Iran kurz vor der Fertigstellung einer Atombombe?

Behrooz Bayat: Nein, so weit ist die Islamische Republik nicht. Sie hat bedeutende Fortschritte gemacht, insbesondere bei der Anreicherung von Uran auf bis zu 60 Prozent – das ist waffentaugliches Material. Aber damit hat man noch lange keine Bombe. Ich vergleiche das gern mit Schießpulver: Nur weil man es besitzt, hat man noch keine Waffe.

Zwischen hochangereichertem Uran und einer einsatzfähigen Atombombe liegen viele weitere Schritte: Die Umwandlung in Metall, die Entwicklung metallurgischer Verfahren, die Konstruktion von Bombenteilen, der Bau konventioneller und nuklearer Zündsysteme, schließlich Tests und ein Trägersystem. 

Ich würde sagen: Selbst unter optimalen Bedingungen ist der Iran mindestens ein Jahr, eher zwei bis drei Jahre davon entfernt, tatsächlich eine Atombombe zu bauen. Und das deckt sich auch mit den Einschätzungen der israelischen und amerikanischen Geheimdienste – trotz der teils hysterischen Rhetorik, die wir seit 20 Jahren hören.

Warum dann jetzt dieser Angriff? Was treibt Israel zurzeit zu solch massiven militärischen Schritten?

Israel will keine nukleare Konkurrenz im Nahen Osten. Der Besitz von Atomwaffen gibt Israel eine gewisse Hegemonie in der Region. Wenn nun ein erklärter Feind wie die Islamische Republik auch nur die Möglichkeit hat, eine Bombe zu bauen, wird diese Machtposition infrage gestellt.

Die Behauptung, eine iranische Bombe sei eine existenzielle Bedrohung für Israel, ist aus meiner Sicht nicht haltbar. Denn ein nuklearer Angriff auf Israel würde auch die eigenen Verbündeten des Regimes – etwa Hisbollah im Libanon oder palästinensische Gruppen – treffen. Ganz zu schweigen von der sicheren Zerstörung Irans durch einen nuklearen Gegenschlag. Israel verfügt über eine sogenannte Zweitschlagskapazität, und auch die USA würden reagieren.

Das Regime in Teheran ist machtversessen und brutal – aber es ist kein Selbstmordkommando. Es ist korrupt, realpolitisch und am Machterhalt interessiert. Selbst innerhalb Israels wird diese angebliche „existenzielle Bedrohung“ von vielen Expert*innen als übertrieben eingestuft.

Dr. Behrooz Bayat in Anzug und Krawatte vor einem Bücherregal.
Physiker und Forscher

Dr. Behrooz Bayat, geboren im Iran, studierte Physik an den Universitäten Teheran, Frankfurt am Main und Marburg. Nach seiner Promotion und verschiedenen Forschungstätigkeiten war er viele Jahre als Analyst bei der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien tätig. Heute forscht er als Senior Fellow am Center for Middle East and Global Order. 

Ist es denkbar, dass Israel nun gezielt versucht, alle iranischen Atomanlagen zu zerstören?

Das ist wohl die Intention: den Iran militärisch so zurückzuwerfen, dass er keine Möglichkeit mehr hat, eine Atombombe zu bauen. Völkerrechtlich ist das hochproblematisch – denn nukleare Einrichtungen, vor allem zivile, stehen unter dem Schutz internationaler Abkommen, wie sie etwa von der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien überwacht werden. Die Angriffe auf diese Anlagen sind ein klarer Bruch internationalen Rechts.

Aber Israel handelt, wie wir wissen, nicht zum ersten Mal ohne Rücksicht auf solche Konventionen. Und man darf nicht vergessen: Es ist ein Krieg der Extremismen. Netanjahus Politik ist genauso fundamentalistisch wie die der Islamischen Republik – nur mit anderem Vorzeichen.

Ein besonders gesichertes Ziel ist die unterirdische Anlage in Fordo, rund 25 Kilometer von Teheran entfernt. Ist es militärisch überhaupt möglich, diese Anlage zu zerstören?

Fordo liegt tief unter den Bergen, etwa 90 Meter unter der Erde. Es ist extrem gut gesichert. Solche Anlagen lassen sich nicht mit herkömmlichen Waffen zerstören – dafür braucht es bunkerbrechende Bomben. Einige davon hat nur die US-Armee.

Es gibt Hinweise darauf, dass Israel solche Waffen aus den USA bezogen hat, etwa jene, mit denen unterirdische Führungszentren der Hisbollah im Libanon zerstört wurden. Ob sie ausreichen, Fordo zu zerstören, ist fraglich. In der Vergangenheit wurde sogar über den Einsatz sogenannter Mini-Nukes diskutiert, also taktischer Atomwaffen. Eine Studie des US-Wissenschaftsrats kam damals zu dem Ergebnis, dass eine solche Bombe eingesetzt werden müsste, um bestimmte Ziele zu vernichten – mit potenziell bis zu einer Million Toten als Folge.

Was wären denn die Folgen für die Zivilbevölkerung, wenn solche Bunkerbrecher eingesetzt würden?

Zunächst muss man unterscheiden: Die Anlage von Natanz liegt, wie gesagt, ca. 60 Meter unter der Erde und ist, ähnlich wie Fordo, deutlich von dichter Besiedlung entfernt. Diese Anlagen liegen eher abgelegen. Das Risiko für die Bevölkerung durch die bei Bombardements ausgelösten Explosionen wäre wahrscheinlich geringer, da die Umgebung nicht stark besiedelt ist.

Das Problem besteht vielmehr darin, dass bei den Angriffen radioaktives Material, etwa Uran, freigesetzt wird. Uran ist ein Schwermetall, das als Alphastrahler besonders gefährlich wird, wenn es eingeatmet oder über die Nahrung aufgenommen wird. Es reichert sich im Körper an und kann zu schweren gesundheitlichen Schäden führen. Die Umgebung wäre kontaminiert, betroffen wären Wasser, Böden, Pflanzen und Tiere.

Die Anlage von Isfahan ist hingegen oberirdisch und befindet sich in unmittelbarer Nähe zu einem Ballungszentrum. Wäre es dort zu einer Explosion gekommen, wären die direkten Folgen sowie die Gefahr durch radioaktive Verseuchung fatal.

Allerdings: Wir sprechen hier nicht über ein Szenario wie in Tschernobyl oder Fukushima. Dort wurden im Reaktorbetrieb zahlreiche hochradioaktive Spaltprodukte freigesetzt, das ist eine ganz andere Dimension. Bei den iranischen Anlagen geht es im Wesentlichen um Uran – die Strahlungsgefahr ist real, aber deutlich begrenzter.

Wie ordnen Sie den aktuellen Konflikt historisch und politisch ein?

Kriege entstehen nie im luftleeren Raum – sie haben einen Kontext. Aber verantwortlich ist immer derjenige, der den Krieg beginnt. Das gilt für Putin im Ukrainekrieg. Es gilt für die Hamas am 7. Oktober. Und es gilt auch für Israel jetzt. 

Die Islamische Republik Iran hat mit ihrer aggressiven, zivilisationsfeindlichen Politik und der Feindschaft gegenüber Israel natürlich eine Verantwortung. Aber ein Krieg ist keine Lösung. Wer ihn beginnt, trägt die Hauptschuld – trotz aller berechtigten Kritik an der Gegenseite.

 

Dieser Text ist zuerst bei Iran Journal errschienen.

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